Das Dazwischen aushalten
November 6, 2021

Das Dazwischen aushalten

Vor dem Trubel des Advents zieht im November noch einmal die Stille ein. Draußen wird es früh dunkel und wir sehnen uns nach der Wärme im eigenen Heim. Zugleich verbinden wir diese Zeit auch mit unseren geliebten Verstorbenen.

Da mein Mann und ich von unserer Wohnung auf den Hessentaler Friedhof schauen können, erleben wir jedes Jahr im November, wie unzählige Kerzen die Gräber erleuchten. Dabei entsteht ein Lichtermeer, das den verstorbenen Angehörigen zeigen soll, dass sie nicht vergessen sind. Ein kleines wohltuendes Zeichen in einem sonst gefühlt eher tristen und dunklen Monat.

Der November ist eine Zwischenzeit zwischen dem bunten Herbst und der Vorfreude auf eine besinnliche Adventszeit. Die Erfahrung unseres Lebens zeigt, dass es solche Zwischenzeiten nicht nur in der Natur und im Jahreskreis gibt. Wir warten auf etwas, dass noch nicht da ist. Wir trauern um etwas, dass uns genommen wurde. Das Leben ist im Stand-by-Modus. Dieses Aushalten ist eine unserer schwersten Übungen im Leben. Es ist besonders schwer, weil wir in den dunklen Momenten nicht wissen, wann es wieder leichter werden wird.

Auch wenn sich eine solche Zeit oft dunkel und leer anfühlt, so ist sie doch wahnsinnig wichtig. Zulassen von Trauer ermöglicht liebevolles Erinnern. Loslassen von vermeintlichen Zielen schafft neue Perspektiven. Erst wenn wir die Hände und das Herz wieder frei geben, können wir Neues anpacken oder unser Herz mit Lebenskraft füllen lassen. Bevor wir uns im Advent auf die Ankunft Gottes vorbereiten können, braucht es manchmal das bewusste Stehen an unseren Gräbern. Zu oft ersehnen wir den Neuanfang, ohne der Trauer und dem Abschied Raum gegeben zu haben.

Vielleicht schaffen wir es dieses Jahr einmal ganz bewusst, dem November etwas abzugewinnen. Mit dem Gang an die Gräber wird unser Blick zur Erde gerichtet. Es erdet uns, wenn wir mit allen Sinnen wahrnehmen, wo wir verwundet sind und Gottes Beistand brauchen. Gleichzeitig denken wir im November an die, die uns vorausgegangen sind. Sie erinnern uns daran, dass das Leben nicht nur in unseren eigenen Händen liegt.

Wenn ich im November von unserer Wohnung auf den Friedhof blicke, dann bin ich ergriffen von diesem Bild der unzählig vielen Lichter. Sie stehen für mich für das Aushalten und das Hoffen. Sie erinnern mich daran, dass es Zeit ist, in die Heilung meiner Wunden zu vertrauen.

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Vanessa Markwart

Pastoralreferentin in Schwäbisch Hall

 

Vanessa.Markwart@drs.de