„Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Wer mehr weiß, weiß damit also auch mehr davon, was er alles nicht weiß. Folglich kann das erworbene Wissen zur Demut führen.
Die Tugend der Demut steht nicht gerade hoch im Kurs. Ein Blick in die sozialen Medien zeigt, dass hier der etwas gilt, der am lautesten und schrillsten auftritt. Auch im politischen Geschäft gibt es nur wenige Ausnahmen von dieser Regel. Wer Fehler eingesteht und sein Unwissen bekennt, gilt schnell als blamiert und beschädigt. Selbst wer einmal einen Fehler einzugestehen gezwungen ist, formuliert meistens: „Ich entschuldige mich“ und nicht, wie es einzig sinnvoll heißen müsste: „Ich bitte um Entschuldigung“. Niemand kann sich aber von einer Schuld selbst lossprechen. Im Gegenteil: Bei der Vergebung wird der durch sie Beschenkte in eine passive Rolle versetzt.
Trotzdem gilt: Demut ist die Tugend der Stunde. Man kann unser Wissen, das im Lauf des Lebens anwächst, mit einem Luftballon vergleichen, der durch das Aufblasen immer größer wird. Wenn der größer werdende Ballon das Wissen versinnbildlicht, dann lässt sich leicht nachvollziehen, dass seine Oberfläche, die immer größer wird, auch immer mehr Berührungspunkte mit der sie umgebenden Unwissenheit hat. Wer mehr weiß, weiß damit also auch mehr davon, was er alles nicht weiß. Folglich kann das erworbene Wissen zur Demut führen, weil man zugleich einsieht, wie wenig man doch tatsächlich weiß. Bei dem Philosophen Sokrates hat das zu der berühmten Aussage geführt: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“
Gerade die Corona-Pandemie macht deutlich, wohin fehlende Demut führen kann. Zum einen boomen Verschwörungstheorien, die ein Geheimwissen versprechen, das die Mitwisser über die Übrigen erhöht. Zum andern bietet sie eine traurige Fülle von Anschauungsmaterial für den sog. Dunning-Kruger-Effekt. Die Psychologen Dunning und Kruger haben wissenschaftlich aufgezeigt, dass sich Inkompetenz selbst verstärkt, indem sie verhindert, dass die von ihr Betroffenen die eigene Inkompetenz erkennen können. Mangelnde Selbstdistanz führt dann zur Verfestigung dieser Situation, da vermeintlich kein neues Lernen nötig ist.
Diese Überlegungen scheinen mehr zu deprimieren als Mut zu machen. Aber das Gegenteil ist richtig: Man muss nicht alles verstehen und braucht sich nicht für das Maß aller Dinge zu halten und darf sich trotzdem und gerade deshalb am Guten erfreuen. Demut entlastet, weil man weder vor sich selbst noch vor anderen der Beste sein muss. Dies soll kein Aufruf sein, sich vorschnell mit der eigenen Mittelmäßigkeit zufriedenzugeben. Aber der Maßstab sind eben nicht die anderen, an denen man sich so leicht messen kann, sondern die eigenen Möglichkeiten. Und diese bieten uns doch bis ins hohe Alter die Chance, uns zu ändern und etwas neu sehen zu lernen.
Bild: © Thérèse Gerstner; römisches Strassenschild: Weg der Demut
Studium der Katholischen Theologie und der Philosophie in Jerusalem, München und Tübingen. An meiner Tätigkeit gefällt mir, dass ich Ideen in die Tat umsetzen kann, dass ich interessante Menschen zu Vorträgen einladen darf, dass ich Gespräche moderieren und mit Teilnehmern ins Gespräch kommen kann, dass ich auch selbst Impulse setzen darf und Vieles mehr!
Ich bin verheiratet mit einer Religionslehrerin. Wir haben zwei Kinder und leben in Crailsheim.