Ist GNTM jetzt religiös?
Mai 13, 2022

Ist GNTM jetzt religiös?

Haben Sie in letzter Zeit mal Germanys Next Topmodel angesehen? Ich gebe zu, ich schon! Bei einer der vergangenen Sendungen dachte ich: Zuschauende, denen unser Land und unsere Sprache nicht so vertraut sind, könnten den Eindruck bekommen: „Die sind ja alle sehr religiös.“ Denn unzählige Male fiel der Ausspruch: O mein Gott! oder als Kurznachricht: omg!

Ob die Mitwirkenden der Casting-Show tatsächlich gläubig sind, lässt sich so natürlich nicht beurteilen. Denn uns ist klar, dass der Spruch omg! keineswegs nur im religiösen Zusammenhang verwendet wird. Er ist im allgemeinen Sprachgebrauch einfach ein Ausdruck der Überraschung oder Verwunderung – im negativen wie im positiven Kontext: die Situationen in der Ukraine, die Naturkatastrophen Weltweit, das Verhalten bestimmter Leute, die offene Wunde, die übergekochte Milch … omg! Das Outfit der Freundin, das neu geborene Kind, die geglückte Aktion, das polierte Motorrad, der Sonnenuntergang am Meer … omg!

Wir stehen diesbezüglich in guter Tradition mit den Menschen der Bibel. Sinngemäß fällt dieser Ausspruch dort nämlich ebenfalls in gegensätzlichen Situationen. Da klagt zum Beispiel der Schreiber des Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Eindrücklicher kann man die gefühlte Abwesenheit Gottes in einer schlimmen Situation kaum ausdrücken. Auf der anderen Seite findet man in der Bibel aber auch den Ausruf des Jüngers Thomas beim Anblick des auferstandenen Jesus: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist begeisterte Überraschung und Bekenntnis zugleich.

Ich finde es angemessen und zutiefst menschlich, wie die Schreiber der Bibeltexte die Klage und den Zweifel an Gott ebenso selbstverständlich ausdrücken wie Lob und Dank. Wir glauben daran, dass wir Gottes Ebenbilder sind und dass Gott über allem steht. Also hat auch die Ambivalenz des Lebens ihre Berechtigung im Gebet. Wobei ‚Gebet‘ keineswegs ‚viele Worte‘ bedeuten muss. Manchmal reicht auch ein schlichtes: O mein Gott!

Ich werde also versuchen, meine GNTM-Erfahrung so umzusetzen: bei Bestürzung, Begeisterung, Enttäuschung oder Überraschung mein unbewusst ausgesprochenes omg! zum bewussten Kurzgebet werden lassen. Ich will einfach gedanklich kurz den Kontakt zu dem Göttlichen aufnehmen, das über allem steht – und zwar in dem Glauben: Gott hört mich. Dadurch kann sowohl Trost als auch Dankbarkeit wachsen. Und – omg! – das ist gut.

Bildquelle: Pixabay/qiesnusantara26
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Ulrich Müller-Elsasser

Gemeindereferent in Schwäbisch Hall und Klinikseelsorger am Diak Schwäbisch Hal

Religionspädagogik-Studium in Freiburg i.Br.

Kirche: leben – leiden – lieben. Quasi von Geburt an und seit 1994 auch hauptberuflich in Aldingen/Aixheim, Esslingen a.N., Schwäbisch Hall.

Zwischen ignatianisch geprägter Spiritualität, Ökumene und Kirchenkabarett (www.maulflaschen.de).

Und sonst? Familie, Garten, Musik, Theater, Natur … oder: ein Leben in Fülle!

Ulrich.Mueller-Elsasser@drs.de